Dienstag, Oktober 10, 2006

Müllerfahrungen

Ich reise im Zug von Agra nach Delhi. Ich habe gerade mein unglaublich leckeres indisches Take Away Abendessen genossen und zurück bleibt: Müll.
Wohin damit? Mein Augen spähen durch den Wagen, doch nirgenwo ist ein Mülleimer zu entdecken. Auch mein Gang zu dem Raum zwischen den Wagons ist erfolglos.
Als ich zu meinem Platz zurückkomme, sehen mich meine indischen Mitreisenden mit dieser typisch indischen Mischung aus Hilfbereitschaft und Sensationslust an. Ich versuche ihnen mein Problem zu schildern. Ein Familienvater deutet aus dem Fenster. Ich weiβ, er hat noch vor einiger Zeit seinem kleinen Sohn gezeigt, wie man richtig Müll aus dem Zugfenster wirft, aber das ist doch bestimmt nicht die einzige Lösung. Ich erinnere mich an den Zustand der Bahndämme und beginne an mir zu zweifeln. Ich versuche mir ernsthaft geistig vorzustellen, meinen Müll gleich aus dem Fenster zu werfen. Es fühlt sich furchtbar an.
Ich antworte halb scherzhaft, halb ernsthaft: “I just can’t do this, it’s a cultural thing. I am from Germany.” Die Inder und ich schütteln uns vor Lachen.
Mittlerweile hat die Szene auch den Schaffner angelockt. Ich frage ihn, was ich mit meinem Müll machen soll. Auch er deutet aus dem Fenster. Ich frage ihn mit einer vermutlich an Verweiflung grenzenden Ausdruck im Gesicht, ob nicht irgendwo in diesem Zug ein Mülleimer ist. Sein Gesicht bekommt einen väterlichen Zug: diesem armen Ausländer muss geholfen werden, schlieβlich ist er ja hier die Autoritätsperson. Er nimmt mich mit zu seinem Schaffnerkabuff. Ich erwarte dort den ersehnten Mülleimer. Doch auch dort ist keiner. Aber ich kann den Müll dort in die Ecke auf den Boden werfen. Wirklich? Es ist wirklich ernst gemeint. Ich werfe den Müll in die Ecke.
Ich habe Gewissensbisse, dass nun mein Müll im Raum des Schaffners liegt. Später kommt mir ein beruhigender Gedanke: Wahrscheinlich hat er den Müll, so bald ich nicht mehr in der Nähe war, sowieso aus dem Fenster geworfen.

Ich freue mich, dass der Respekt für die kulturellen Eigenheiten und Absonderlichkeiten der verschiedenen Menschen in Indien so groβ ist und mir wird ganz warm ums Herz.
Lebenszeichen

Ja, ich lebe noch! Ich habe den Blog nur lange nicht mehr geupdated, da der Bilderupload in der letzten Zeit nicht mehr richtig funktioniert hat und ich erst mal genug vom Bloggen hatte und mich dann, wie 75% aller Indienreisenden die Rache der Moguln erwischt hat und meine einzige signifikante Aktivität für drei Tage das Rennen von meinem Bett zur Toilette war.
Ziemlich direkt nach meiner Ankunft hatte ich einen grippalen Infekt mit folgender Bronchits und dann eine Woche lang juckenden roten Hautausschlag am ganzen Körper, der wohl durch die Hitze und extreme Luftfeuchtigkeit ausgelöst wurde und ich habe eigentlich die ganze Zeit einen trockenen Husten, schließlich bin ich hier ja in einer der Städte mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung.
Irgendwie scheint der europäische Körper nicht wirklich auf den Indien vorbereitet zu sein und reagiert wohl mit einer Art Schock, der das Immunsystem lahmlegt und bei vielen Europäern ist die geistige Reaktion sehr ähnlich.
Was allerdings wirklich faszinierend ist, dass so viele Europäer sich nach Indien zurücksehnen, obwohl wir ehrlich zugeben müssen, dass wir nun wirklich nicht gerade für diese Ecke der Welt geschaffen sind.