Samstag, September 16, 2006

Erste Eindrücke

Als ich in Delhi aus dem Flugzeug steige, schlägt mir feucht- heiße Luft entgegen. Das Rollfeld des Flughafens ist auch nachts von wahren Menschenmassen bevölkert, viel mehr Menschen arbeiten hier als an einem europäischen Flughafen. Oder sie schlafen hier. Wirklich: auf den Gepäcktransportlastern oder in halboffenen Baracken auf dem Rollfeld schlafen dicht gedrängt Arbeiter.
Nachdem ich die Einreiseformalitäten hinter mich gebracht habe und mein Gepäck abgeholt habe, finde ich schließlich den Taxifahrer mit dem Schild "Mr. Eckhoff", der mich abholen soll. Er ist etwa halb so groß wie ich und scheint kein Englisch zu sprechen. Aber er hat eine Karte von meinen Gastgebern beim Hope- Project (http://www.hopeprojectindia.org/) bekommen. Als wir endlich zum Parkplatz kommen und er mein Gepäck in den Wagen laden will, reißt ihm ein junger Mann meinen Rucksack aus der Hand. Glücklicherweise rennt er nicht damit davon, sondern wirft ihn in den Kofferraum. Mein erschöpftes Gehirn schafft es mit einer schlaflosigkeitsbedingten Verzögerung gerade noch sich über die sonderbare Szene zu wundern, als sich die Situation aufklärt: Der junge Mann möchte wirklich ein Trinkgeld für seine aufopferungsvolle Gepäckträgerdienste. Ich erkläre ihm, dass ich noch gar kein Kleingeld habe, während sich noch mehr junge Männer um mich versammeln, einige von ihnen reden auf meinen "Gepäckträger" ein. Ich fliehe ins Auto.
Auf der Autostraße zeigt sich der wahre Charakter meines schweigsamen kleinen Fahrers. Hupen ist die Hintergrundmusik des indischen Straßenverkehr, aber mein Fahrer ist selbst für Indien wirklich etwas besonderes. Sobald er einen anderen Verkehrsteilnehmer erblickt, fängt er an zu hupen und überzieht den anderen mit einem Blitzlichtgewitter aus seiner Lichthupe. Seine Außenspiegel sind sicherheitshalber schon mal eingeklappt, um sich durch kleinste Lücken zwischen zwei Lastwagen hindurchzwängen zu können. Erst nach einiger Zeit finde ich heraus, das zumindest für die meisten anderen Fahrer in Indien Linksverkehr geboten ist. Rote Ampeln haben sowieso nur dann ein Wirkung, wenn ein Polizist danebensteht, man kann ja hupen, um seine Ankunft anzukündigen.
Mein kleiner Fahrer mit seinem neuen Taxi kann es sich erlauben, als Autofahrer ist er einer der stärkeren Verkehrsteilnehmer, ein "Maharadscha of the road". Es ist unglaublich was sich auf dieser mehrspurigen Autostraße tummelt: Fussgänger mit großen Handwagen, Lastenfahrräder, Hunderudel und natürlich die obligatorischen Kühe. Dazu unzählige Autorikschas, eine Art Kreuzung aus Rikscha und Motorrad, einige davon mit großem Schriftzug "Please horn!", als wenn Inder dazu einer Aufforderung bedürften. Wir überholen hupend einen Motorroller. Hinten sitzt eine junge Frau, ihre langen schwarzen Haare und ihr roter Sari mit goldenen Stickereien wehen im Fahrtwind. Vor ihr sitzt der Mopedfahrer. Als wir an ihnen vorbeiziehen sehe ich, dass zwischen den beiden irgendwie noch zwei kleine Jungen Platz auf dem Moped gefunden haben.
Am Straßenrand schlafen einzelne Menschen und ganze Familien. Auch nachts sind überall noch kleine Verkaufsstände geöffnet.Wir überleben die Fahrt, obwohl sich mein Fahrer noch mit einem der kunstfertig verzierten Lastwagen anlegt, der aber bremsenquietschend aufgibt und uns widerwillig Vorfahrt gewährt. Als ich denke, dass das Schlimmste hinter mir ist und der Verkehr sich beruhigt, fängt mein Fahrer plötzlich an in dunkle menschenleere Sackgassen zu fahren, dreht wieder um, hält kurz an und spricht mit Menschen an der Straße. Ich werde langsam nervös. Er hat sich wohl verfahren.
Schließlich halten wir kurz vor Mitternacht in einer Gasse voller Menschen und sonderbarer Gerüche, die zu eng für das Auto ist, mein Fahrer springt wortlos aus dem Auto, glücklicherweise kommt er eine kurze Zeit später wieder zurück. Er zeigt in die Dunkelheit und scheint mir wohl zu verstehen zu geben, dass unsere Fahrt hier endet und ich aussteigen soll und von hier an selbst meinen Weg finden kann. Ich bin glücklicherweise gerade noch geistesgegenwärtig genug, um ihm irgendwie zu verstehen zu geben, dass er erst sein Geld bekommt, wenn er mich zu dem Ort auf seiner Karte bringt und mich dort beim "Security Guard" abgibt. Wir laufen durch das schmale Gassengewirr und erreichen schließlich ein großes Gebäude mit dem Schriftzug und dem Zeichen des Sufi- Ordens, der Gründer und einer der Hauptträger des Hope- Projekts ist. Wir klingeln: keine Antwort. Schaulustige sammeln sich, der Taxifahrer redet mit ihnen. Ein hilfsbereiter Mann fängt an Sturm zu klingeln. Wir warten. Keine Anwort. Ich fange schon an, mir Hotels in der Gegend aus dem Reiseführer herauszusuchen. Dann plötzlich ist der Taxifahrer verschwunden. Ein freundlicher Inder bietet mir sein Handy an, um meine Kontaktnummern anzurufen. Dort ist auch keiner zu erreichen. Ich biete ihm Geld für seine Handykosten an, er weigert sich lächelnd, es anzunehmen. Der Taxifahrer bleibt verschwunden.
Nach langer Zeit des Wartens öffnet sich schließlich die Tür, mir fällt ein Stein vom Herzen ich sage: "My name is Simon Eickhoff, I think that you are expecting me", doch der junge Mann, der die Tür geöffnet hat schaut mich ratlos an, auch er spricht kein Englisch. Ich würde jetzt gerne hineingehen und die Tür hinter mir schließen, doch der noch unbezahlte Taxifahrer bleibt immer noch verschwunden und dieser junge Mann scheint jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem er aus dem Bett geklingelt wurde, noch nichts von meiner Ankunft gewusst zu haben. Schließlich taucht auch der Taxifahrer wieder auf, vielleicht hatte er einen anderen Eingang gesucht, ich gebe ihm ein gutes Trinkgeld für die lange Zeit die er, mit mir gewartet hat.
Schließlich tritt eine Frau aus einem der Gebäude um den Innenhof zu uns hinzu, die wir wohl auch aufgeweckt haben, glücklicherweise spricht sie Englisch. Ich hätte dem Taxifahrer doch kein Trinkgeld geben sollen, wie sich nämlich herausstellte hatte er mich zum falschen Ort gebracht, nämlich dem Mausoleum des Ordensgründers Hazrat Inayat Khan und nicht zum Hope- Project. Ich bitte die aus dem Schlaf Aufgeweckten vielmals um Entschuldigung. Sie haben Verständnis für meine Situation und der junge Mann bietet sich an mich zum Hope- Project zu bringen. Dort wartet bereits der Nachtwächter seit einiger Zeit auf mich. So erreiche ich schließlich den Ort, der den nächsten Monat lang meine Heimat sein wird.

1 Comments:

Blogger Jetar said...

Hi Simon

Thank you for your columns on the Basti and experiences in India and Delhi in general. The Müll-Geschichte war einfach Klasse wie du das Alles beschrieben hast. Vor einige Jahre war ich 2 Wochen in India und besuchte u.A. Basti und HopeProject. Ich möchte gerne zurück kommen und vielleicht einige Zeit arbeiten dort, aber jetzt geht das noch nicht. Durch dein Schreiben und die Bilder aber bin ich einfach wieder da!. Ich fand deine Blogg Adresse im Hope Newsletter von Dezember und habe schnell eingelogt! Ich lese jetzt und hoffentlich Morgen weiter! Du schreibst wohl sehr gut! Herzlichen Grüssen, jetty armaiti. Hope this reaches you well! sing_2_songs@hotmail.com

1:55 PM  

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